Der Gottesdienst als Ort religiöser Erfahrung
Der Gottesdienst als Ort religiöser Erfahrung im Anschluss an Eilert Herms
von Wolfgang Runge
- Eine systematisch-theologische Untersuchung
über die Grundlagen religiöser Praxis im Anschluss an Eilert Herms,
Schriften des Instituts für Theologie und Ethik
der Universität der Bundeswehr München Band 6.
LIT-Verlag Berlin 2019,
ISBN 978-3-643-14527-7
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Die Beschreibung der Lage des Gottesdienstes in modernen Gesellschaften ergibt eine doppelte Infragestellung seiner Funktion. Zum einen ist der christliche Glaube heute angefragt hinsichtlich der Bedingungen der Kommunikationsfähigkeit seines Wirklichkeitsbewusstseins und zum anderen hinsichtlich der öffentlichen, gesellschaftlichen Relevanz von Charakter, Inhalt und Perspektive des Evangeliums.
Herms Antwort auf diese doppelte Herausforderung läßt sich mit seinem Begriff der "teilnehmenden Erfahrung" erfassen. Die gesellschaftliche Funktion des Gottesdienstes liegt in der besonderen inneren Erfahrung, der er sich verdankt, und an der er als öffentliche Veranstaltung der christlichen Gemeinde Partizipation ermöglicht.
Herms kann den Bezug religiöser Erfahrung sowohl auf die dauerhafte Verfasstheit des Menschen als Person, als auch auf sein ethisch begründetes Verhalten in der Welt plausibel machen.
Es geht bei der Frage nach der Relevanz des Gottesdienstes also nicht um eine vordergründige Diskussion um die Aktualität äußerer Formen, z.B. um ein konservativ erscheinendes Festhalten an überkommenen liturgischen Formen oder einen als progressiv erscheinenden Eventcharakter von Gottesdiensten. Es geht vielmehr um die inhaltliche Klärung seines Gegenstandsbezuges. Wie ist religiöse Erfahrung in ihrer Eigenheit zu beschreiben? Inwiefern ist religiöse Erfahrung in der allgemeinen Verfasstheit des Menschen fundiert? Wie kann der Prozess religiöser Erfahrung in Bezug auf die Geschichte beschrieben werden? Und inwiefern hat diese Erfahrung eine öffentliche Relevanz?
Herms zeigt auf, dass es sich hier um einen Bildungsprozesses in Hinsicht auf zielorientierende Gewissheiten handelt. Es geht ihm darum, diesen Bildungsprozess hinsichtlich seiner erfahrungstheoretischen Grundlagen, seiner subjektiven Gewißheitserfahrung und seiner objektiv zu beschreibenden Gründe in der psychischen und geschichtlichen Verfasstheit des Menschen und in seiner Rolle hinsichtlich seiner Handlungsorientierung unter den Bedingungen der Verfasstheit moderner Gesellschaften transparent zu machen.
So nimmt diese Darstellung ihren Anfang bei der Beschreibung der Eigenheit religiöser Erfahrung und ihrem Bezug auf die Verfasstheit personaler Instanzen, nimmt ihren Weg über die Beschreibung christlicher Evidenzerfahrung und dem spezifischen Bildungsgeschehen christlichen Daseinsverständnisses und seiner Ethosbildung bis zu den Kommunikations-bedingungen in komplexen modernen Gesellschaften und der Rolle des Gottesdienstes darin.
Herms Auffassung des Geschehens des Gottesdienstes wird hinsichtlich seines auf diese Weise aufgewiesenen Erfahrungsverständnisses nachgezeichnet.
Der Erfahrungscharakter des Gottesdienstes wird von Eilert Herms schließlich genauer beschrieben hinsichtlich der Regelhaftigkeit seiner symbolischen Kommunikation, der Zuordnung von Wortverkündigung und Sakramentsfeier und seinen Grundzügen einer Fundamentalhomiletik.
Die These dieser Arbeit lautet: Die subjektive Relevanz des Gottesdienstes für den Einzelnen, als auch seine objektive Relevanz für die Gesellschaft als Ganze besteht in der Art der religiösen Erfahrung, die dem Menschen am Ort des Gottesdienstes zuteil werden kann.
Diese Erfahrung verdankt sich dem Zusammenspiel von geschichtlich kontingentem Inhalt des Evangeliums und der dauerhaften personalen Verfasstheit des Menschen. Sie ist unverfügbar. Sie ist als prozesshaftes Bildungsgeschehen zu beschreiben. Sie zeigt sich konkret in ihrem Wirklichkeitsverständnis über Ursprung, Verfasstheit und Bestimmung von Mensch und Welt. Diese Erfahrung äußert sich in ihrer notwendig perspektivischen Sicht auf die Wirklichkeit und sie bestimmt die ethische Zielorientierung des Menschen in allen Lebensbereichen.
Ihr Ort ist der Gottesdienst als besonders geregelter Erfahrungsraum von Wortverkündigung und Sakramentsfeier. In ihm kommt die unmittelbare Selbsterfahrung des Menschen coram deo, die Erfahrung "endlicher Freiheit", zur Sprache, in ihm geschieht die unverfügbare Evidenzerfahrung der Wahrheit des Evangeliums und eine daraus folgende politisch, wirtschaftlich und wissenschaftlich relevante Zielwahlorientierung.